Legende zur St. Kilian-Kirche lässt sich untermauern

Südlich von Enzersdorf gibt es zahlreiche Scherbenfunde in den Äckern, die auf ehemalige Siedlungen schließen lassen. Mittendrin liegt der Kilian-Hügel. Ein Ort, auf dem  der Legende nach früher eine Kirche und eine Siedlung gestanden sein sollen. Die Wahrheit scheint  davon nicht weit entfernt zu sein.

Der Kilian-Hügel (Nummer 6 auf den Karten) ist heute bewaldet. Vor knapp 200 Jahren sah es dort noch ganz anders aus, wie aus dem Franziszeischen Kataster von 1822 hervorgeht: Der südliche Bereich der Katastralgemeinde Enzersdorf war bis zur Höhe des Guntersdorfer Forsthauses fast ausnahmslos ohne Wald. Dafür waren Felder, Wiesen - und einzelne Öden - eingezeichnet.

Und hier wird es interessant. Denn diese "öde" bezeichneten Parzellen sind für die Gegend eher selten. Sie wirken auf der Karte zwischen den Feldern aufgrund ihrer Form wie Fremdkörper. Man darf daher vermuten, dass sich auf einzelnen Parzellen davon einmal Gebäude befanden.

Zur versunkenen Kirche St. Kilian, die in diesem Bereich vermutet wird, schreibt Schweickhardt im Jahr 1833 von einer Sage, die er von der damaligen Herrschafts-Verwaltung gehört habe. Nämlich, dass „die Kirche von Enzersdorf und selbst ein Theil des Dorfes vor Alters auf dem sogenannten Kilian (…), einem etwa 500 Klafter südlich entfernten Hügel gestanden seyn soll, wovon aber keine Spur mehr vorhanden ist.“ Ein Klafter entsprach damals knapp 1,90 Metern.

Und siehe da. Misst man vom Schloss rund 950 Meter in den Süden, landet man genau auf dem Kilian-Hügel.

Der heilige Kilian, dem diese Kirche geweiht war, war übrigens ein iro-schottischer Missionsbischof, der angeblich um 689 in Würzburg verstarb. Das Patrozinium ist in Österreich höchst selten (aktuell nur in drei Kirchen). Es könnte von einem deutschen Stift stammen, das dem heiligen Kilian geweiht war und aus dieser Gegend Einkünfte bezog. In Deutschland ist dieses Patrozinium nach wie vor sehr häufig anzutreffen.

Aus dem Enzersdorfer Pfarrgedenkbuch von 1832 geht hervor, so Historiker Walter Johann Fittner, dass sich damals nur noch ein 80-jähirger Mann an Erzählungen von der Kirche erinnerte. Demnach habe er von seinem Vater gehört, dass dessen Großvater in der Kirche als Knabe ministriert habe.

Das würde bedeuten, dass die Kirche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch bestanden haben dürfte.

Heimatforscher Josef Weichselbaum fand zudem Scherben  in den Feldern zwischen der Glasweinerstraße und dem Kiliangraben, der unmittelbar östlich der Straße verläuft und heute im Wald liegt. Die Scherbenstreuung reicht demnach von den Fischteichen im Norden bis über die Eichenremise hinaus (Nummer 7). Auch westlich der Straße hat Weichselbaum noch Scherben gefunden. 

Es wäre logisch, wenn auch auf der anderen Seite des Kiliangrabens noch Häuser standen. Zumal diese Parzellen nun bewaldet sind, sind Oberflächenfunde jedoch so gut wie unmöglich. Unmittelbar östlich der Fundstelle - am Kilian-Hügel (Nummer 6) - müsste demnach die Kirche gestanden sein.

Zumal unmittelbar südlich davon schon die von Wüstungsforscher Kurt Bors beschriebene weitere Siedlung (Nummer 8) bestand, dürfte es eine Verbindung dieser Orte gegeben haben.

Viel Raum für Spekulationen

St. Kilian bleibt in seinen Ursprüngen damit ein Geheimnis. Die Theorien: Die Kirche wurde als erstes Gotteshaus von den Herren von Enzersdorf gebaut und es bildete sich dort eine Siedlung. Dafür spricht: Würde man den Meierhofweg verlängern, führte er kerzengerade zum Hügel.

Eine andere Denkvariante wäre, dass St. Kilian ursprünglich zum unmittelbar benachbarten Dorf Krales gehörte - nach der möglichen Ortsverlegung vom Süden (Nummer 9) in den Norden (Nummer 8). Demnach wäre die Siedlung unmittelbar westlich der Kirche (Nummer 7) Teil von Krales gewesen.

Oder: Die Kirche wurde ursprünglich für Enzersdorf und die Ursprungssiedlung von Krales gemeinsam gebaut, weil sie mittig zwischen den Orten lag.

 

Zugrunde liegende Quellen für diesen Bericht:

Ergebnisse der Wüstungsforschungen von Dr. Kurt Bors und Heimatforscher Josef Weichselbaum. In: Weichselbaum, Josef (1993): Heimatbuch von Enzersdorf/Th. und Kleinkadolz. Eigenverlag: Kleinkadolz

Schweickhardt, Franz Xavier Joseph (1833): Darstellung des Erzherzogtums unter der Enns. Erster Band. PP. Mechitaristen: Wien. S. 249.

Fittner, Walter Johann (2016): Kralles und St. Kilian. In: Beiträge zur Bezirkskunde Hollabrunn. Beilage zum Amtsblatt der Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn. Folge 324, 5. Februar 2016, S. 1311-1313.

Detail-Ausschnittskarte zu Kilian
Detail-Ausschnittskarte zu Kilian
Ausschnitt aus der Wüstungs-Übersichtskarte: Diese Siedlungsbereiche könnten zusammengehört haben
Ausschnitt aus der Wüstungs-Übersichtskarte: Diese Siedlungsbereiche könnten zusammengehört haben
Der beschriebene Standort der Kirche St. Kilian (6) und weitere untypische und "öde" bezeichnete Parzellen von 1822. Unmittelbar angrenzend ist die wieder entdeckte Ortschaft Krales (9). Die Felder nordwestlich davon bilden noch heute die Flur Krales.
Der beschriebene Standort der Kirche St. Kilian (6) und weitere untypische und "öde" bezeichnete Parzellen von 1822. Unmittelbar angrenzend ist die wieder entdeckte Ortschaft Krales (9). Die Felder nordwestlich davon bilden noch heute die Flur Krales.